Seit Beginn des Ukrainekriegs sind die Preise für Bauleistungsträger (Stahl, Holz, Energie, Transporte u.a.) sprunghaft gestiegen. Viele Bauunternehmen fragen sich, ob sie mehr Vergütung verlangen oder sogar kündigen dürfen, wenn der vereinbarte Festpreis nicht mehr kostendeckend ist. Ein aktueller Hinweisbeschluss des OLG Celle vom 03.07.2024 – 3 U 15/24 liefert hierfür wichtige Leitlinien.

Kein „Automatismus“: Einzelfallprüfung statt pauschaler Verweis auf Marktpreise

Nach dem OLG Celle berechtigen Preissteigerungen infolge des Ukrainekriegs nicht automatisch zur außerordentlichen Kündigung oder zu einer Vertragsanpassung. Entscheidend ist stets der Einzelfall. Wer sich auf Preisexplosionen beruft, muss konkret darlegen, wie seine ursprüngliche Kalkulation bei Vertragsabschluss (hier: vor Kriegsbeginn) aussah und wie sie sich später dargestellt hätte. Ein bloßer Verweis auf „generelle Preisentwicklung“ genügt nicht.

Rechtliche Anknüpfungspunkte

  • § 313 BGB – Störung der Geschäftsgrundlage: Vertragsanpassung kommt nur in Betracht, wenn eine schwerwiegende Äquivalenzstörung vorliegt und das Festhalten am unveränderten Vertrag unzumutbar wäre. Dafür sind harte Zahlen zur Kalkulation erforderlich.
  • §§ 642, 643 BGB – Kündigung durch den Unternehmer: Eine „Ausweichkündigung“ über Mitwirkungspflichten des Auftraggebers greift nicht, wenn es in Wahrheit um Preissteigerungen geht. Es braucht eine echte, vom AG zu verantwortende Mitwirkungsverletzung.

Welche Darlegung konkret erforderlich ist

Wer mehr Geld oder ein Sonderkündigungsrecht wegen Ukraine-bedingter Teuerungen beanspruchen will, sollte – idealerweise prüffähig – vortragen:

  1. Ursprüngliche Kalkulationsgrundlagen bei Vertragsschluss (Preisstände, Lieferantenangebote, Energie-/Transportkosten, Wechselkurse, Zuschläge).
  2. Kontrafaktische Kalkulation zum Zeitpunkt der begehrten Anpassung (neue Angebote/Preisstände; Nachweise zu konkret betroffenen Positionen).
  3. Ursachenzusammenhang zwischen Ukrainekrise und konkreten Eingangsgrößen (nicht nur allgemeine Indizes, sondern Belege aus der eigenen Beschaffung).
  4. Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag (Deckungsbeiträge, Liquidität, Dispositionsgrenzen) und warum mildere Mittel (z. B. Disposition, Loslösung von Einzelleistungen) nicht genügen.

Warum pauschale Preisindizes nicht reichen

Branchenindizes (z. B. Erzeugerpreise) können ein Indiz sein, ersetzen aber nicht die Darstellung der individuellen Kostenstruktur. Das Gericht will erkennen können, wo und in welcher Höhe gerade Ihr Projekt betroffen ist.

Festpreis bleibt Festpreis – es sei denn …

Ein vereinbarter Festpreis trägt das Preisrisiko grundsätzlich beim Unternehmer. Eine Anpassung setzt deshalb hohe Hürden: Nur wenn die Grundlagen der Preisbildung außergewöhnlich und unvorhersehbar wegbrechen und das Ergebnis für eine Partei untragbar wird, kommt § 313 BGB zum Tragen – mit der Folge der Vertragsanpassung. Eine außerordentliche Kündigung lässt sich daraus nicht ohne Weiteres herleiten.

Praxisleitfaden für Auftragnehmer (AN)

  • Frühzeitig dokumentieren: Angebote/Lieferantenschreiben, Preisstände, Lieferhindernisse, Energie-/Transportaufschläge sammeln.
  • Transparente Anpassungsanfrage: Prüffähige Gegenüberstellung „Alt-Kalkulation vs. Neu-Kalkulation“ mit Nachweisen; konkrete Anpassungsformel vorschlagen (z. B. positionsbezogene Mehrkosten).
  • Mildere Mittel zuerst: Teilanpassung, Leistungsänderung, Verschiebung besonders teurer Positionen verhandeln.
  • Rechtlich sauber kommunizieren: § 313 BGB prüfen, aber Kündigung nur ultima ratio – Fehleinschätzungen gefährden Vergütungsansprüche.

Praxisleitfaden für Auftraggeber (AG)

  • Prüfkonzept etablieren: Verlangen Sie prüffähige Darlegung der ursprünglichen und der aktuellen Kalkulation; pauschale Indexverweise zurückweisen.
  • Verhandlungsspielräume nutzen: Temporäre Anpassungen, Stoffpreisgleitklauseln, alternativer Materialeinsatz – immer gegen Nachweis und mit Dokumentation.
  • Risiko steuern: Künftige Verträge mit klaren Preisgleitklauseln, Sicherheitszuschlägen und Informationspflichten ausstatten.

Fazit

Ukrainebedingte Preissteigerungen rechtfertigen weder automatisch höhere Vergütung noch eine fristlose Kündigung. Maßgeblich ist eine präzise, belegte Kalkulationsdarstellung im Einzelfall. Wer sauber dokumentiert und strukturiert verhandelt, hat die besten Chancen auf eine tragfähige Lösung – sei es als Vertragsanpassung oder über projektbezogene Kompensationen.

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